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Wozu gibt es die Marktüberwachung?







Ein Interview mit Stephan Czarnecki, Leiter der Marktüberwachung Baden-Württemberg

  • Bild: Regierungspräsidium Tübingen









Herr Czarnecki, worin bestehen die Aufgaben der Marküberwachung?

Die Marktüberwachung ist ein wichtiger Pfeiler bei der Realisierung des Europäischen Binnenmarkts. Denn der freie Warenverkehr von Gütern und Dienstleistungen beruht darauf, dass die Waren einheitlichen Standards bezüglich Sicherheit und Gesundheitsschutz entsprechen.

Um dies zu gewährleisten, sind Marktkontrollen unabdingbar und werden auch von der EU-Kommission deutlich eingefordert. Die Abteilung Marktüberwachung hat die landesweite Aufgabe, die Produkt- und Chemikaliensicherheit bei Verbraucherprodukten, Investitionsgütern wie Maschinen und Anlagen und Chemieerzeugnissen stichprobenartig zu überwachen.

Dabei konzentrieren wir uns auf die Produkte, die keine Lebensmittel sind („Non-Food-Produkte“): Das können zum Beispiel Spielzeug, Modeschmuck, Toaster, Chemische Reiniger, Baumaschinen, Elektromotoren oder Fernsehgeräte sein. Ferner überprüfen wir, ob die Produkte den Vorgaben einer umweltgerechten Gestaltung (“Ökodesign“), z. B. hinsichtlich der Energieeffizienz, entsprechen.

Ziel ist es, die Verbraucherinnen und Verbraucher vor unsicheren Produkten zu schützen und Wettbewerbsverzerrungen in der Wirtschaft und Industrie entgegenzuwirken.



Welcher Aspekt überwiegt Ihrer Ansicht nach bei Ihrer Arbeit – der Sicherheitsaspekt oder der Aspekt des fairen Wettbewerbs?

Beide Themen sind sehr nahe beieinander. Natürlich motiviert es uns, dass wir uns für die Sicherheit und den Umweltschutz einsetzen. Die umzusetzenden Anforderungen der EU verlangen von den Marktakteuren Know-how und Ressourcen. Entzieht sich ein Marktakteur diesen Anforderungen, kann er ggfs. billiger produzieren und billiger anbieten. Wenn aber billige Produkte Qualitätsprodukte verdrängen, weil die Kunden das billigere Produkt einkaufen, verschwinden auf die Dauer die Qualitätsprodukte vom Markt.

Sie sehen: es geht eigentlich um dasselbe Ziel. Die Produkte müssen den Mindeststandards der EU genügen, wenn sie bei uns gehandelt werden. Durch unsichere Produkte werden die Verwender doppelt gefährdet: Zum einen deshalb, weil sie unsicher sind. Zum anderen aber auch deshalb, weil der Mitbewerber mit seinem sicheren Produkt keine Chance mehr hat. Wenn sich das durchsetzt, haben wir am Schluss ambitionierte Vorschriften, aber einen Markt, auf dem nur noch unsichere Billigprodukte angeboten werden. Dieser Entwicklung beugen wir mit unseren Stichproben-Kontrollen vor. Wir setzen uns mit Engagement dafür ein, den Standard zu sichern, den die EU und der nationale Gesetzgeber fixiert hat. Dafür machen wir jährlich über 10.000 Stichproben.

2023 wurden über 12.167 Überprüfungen durchgeführt. Bei 27 Prozent der Produkte, also bei ungefähr jedem vierten getesteten Produkt, wurde ein Verstoß gegen gesetzliche Bestimmungen festgestellt.
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Welche Aufgaben haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen?

Die Sicherheits- und Umweltstandards der EU sind durch den internationalen Onlinehandel in hohem Maße bedroht. Der Verkauf über Onlineportale ist in der letzten Zeit noch weiter angestiegen. Viele Käufer erkennen im Internet nicht mehr, ob Sie in Deutschland, in der EU oder irgendwo außerhalb der EU auf der Welt einkaufen. Erst wenn sich Probleme mit den Produkten ergeben, stellen die Käufer fest, dass es gar keinen Adressaten in der EU gibt, an den sie sich richten können.

De facto laufen Garantie, Sicherheit und Umwelt- und Klimaschutz aber ins Leere, wenn es keinen Adressaten innerhalb der EU gibt. Das gefährdet die Wettbewerbsgerechtigkeit und die sinnvollen EU-Anforderungen, die über Jahre gewachsen sind. Der Gesetzgeber hat zwar mit dem Marktüberwachungsgesetz nun neu die Verpflichtung geschaffen, bei Importen einen EU-Bevollmächtigten zu benennen. In der Praxis sind diese Regelungen für die Marktüberwachung schwer zu kontrollieren und laufen oftmals ins Leere. In vielen Fällen gibt es diese Personen nicht oder es werden Personen genannt, die gar nicht wissen, dass ihre Identität dafür missbraucht wird.



Wie reagiert die Marktüberwachung, wenn festgestellt wird, dass eine harmonisierte Norm nicht erfüllt wird? Welche Maßnahmen können Sie einleiten?

Die Marktüberwachung hat umfassende Möglichkeiten. Allerdings muss eine Maßnahme immer verhältnismäßig sein. Umso höher das Risiko, umso mehr sind wir in der Pflicht einzuschreiten. Zunächst ist aber immer der Hersteller oder Importeur gefragt. Wenn wir einen Mangel feststellen, konfrontieren wir den Hersteller oder Importeur damit und geben ihm die Gelegenheit, selbst Maßnahmen vorzuschlagen. Reichen diese Maßnahmen nicht aus, ordnen wir die Maßnahmen an. Das können z. B. Prüfungen, Rückrufe oder der Stopp des Inverkehrbringens sein.

Es zeigt sich, dass die Kontrollen, die der Gesetzgeber vorgesehen hat, so wichtig sind wie nie zuvor. Der weltweite Markt und hier insbesondere der Onlinehandel bringen es mit sich, dass den Anforderungen der Europäischen Union nicht immer die notwendige Bedeutung beigemessen wird. Darunter leiden die Sicherheit der Produkte, der Klima- und Umweltschutz.
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Werden die Ergebnisse der Marktüberwachung eigentlich auch nochmals von einer weiteren Stelle kontrolliert?

Beim Großteil der einzelnen Überprüfungen ist eine Kontrolle unserer Ergebnisse durch eine weitere Stelle nicht vorgesehen. Allerdings haben wir bereits bei der Planung unserer Prüfungen Schritte der Qualitätssicherung vorgesehen. Z. B. greifen wir bei Laborprüfungen vorzugsweise auf akkreditierte Labore zurück.

Selbstverständlich geben wir außerdem den Wirtschaftsakteuren Gelegenheit, zu unseren Ergebnissen Stellung zu nehmen. Anordnungen der Marktüberwachung, die auf den Ergebnissen unserer Prüfungen basieren, können zudem durch Klage vor Gericht überprüft werden. Die Fachaufsicht über unser Handeln haben die zuständigen Ministerien. Das kann das Umwelt-, Sozial-, Wirtschafts- oder Innen- oder Verkehrsministerium sein. Diesen berichten wir jährlich über die Ergebnisse unserer Arbeit. Wenn ein Marktakteur der Auffassung ist, dass etwas falsch gelaufen ist, kann er sich an das Ministerium wenden, bei dem die Fachaufsicht über uns angesiedelt ist. Das ist bei der Produktsicherheit zum Beispiel das Umweltministerium, bei der Textilkennzeichnung das Wirtschaftsministerium.

Bei Beschwerden kann man sich aber natürlich auch an uns selbst wenden, z. B. an die Referatsleitung oder die Abteilungsleitung. Hier konnten wir in verschiedenen Fällen schon bestehende Fragen klären und den Fall gemeinsam mit dem Markakteur oder dem Verbraucher / der Verbraucherin lösen. Bei im Schnitt jährlich rund über 10.000 bearbeiteten Fällen sind solche Beschwerden aber selten.



Wie sehen Korrekturmaßnahmen beim Wirtschaftsakteure aus? Und wie reagieren diese generell auf negative Überwachungs-Ergebnisse?

Die allermeisten Marktakteure nehmen unsere Hinweise aktiv auf und sorgen dafür, dass die Mängel abgestellt werden. Das hat sicher damit zu tun, dass der Hersteller oder Importeur im europäischen Rechtsrahmen eine hohe Verantwortung für die Sicherheit und die Umweltqualität seiner Produkte hat. Schon eine Mitteilung von uns über einen festgestellten Mangel reicht aus, dass die Verantwortung greift. Der Hersteller ist dann in der Pflicht, den Mangel abzustellen. Würde sich ein Unfall ergeben, können sich für den Hersteller sowohl haftungs- und u. U. auch strafrechtliche Konsequenzen ergeben. Das ist den meisten europäischen Herstellern bewusst – sie handeln verantwortlich.

Vertiefte Laborprüfungen, erlauben es uns, auch die versteckten Mängel zu entdecken.
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Hat sich das Niveau der Produktsicherheit in den letzten Jahren eher verbessert oder verschlechtert?

Das Sicherheitsniveau ist beständig auf einem hohen Stand. Schwierigkeiten ergeben sich, weil viele Produzenten einem harten Wettbewerb durch den Onlinehandel ausgesetzt sind und die Käufer in erster Linie auf den Preis schauen. Ein Beispiel: der Ersatzakku für eine Videokamera kostet beim Markenhersteller unter Umständen bis zu 180 Euro. Ein Produkt ohne Namen bekommt man schon für 40 Euro. Der Originalakku hat einen Schutz vor Überladung: er kommuniziert mit dem Original-Ladegerät des Herstellers. Ist der Akku voll, schaltet der Strom ab. Auf diese Weise wird einem Brand vorgebeugt. Das ist beim Akku ohne Namen unter Umständen nicht der Fall. Viele der Kunden kennen die Folgen nicht, wenn sie einkaufen oder negieren sie angesichts des großen Preisunterschieds.



Was bringt eine Marktüberwachung, die nicht öffentlich vor gefährlichen Produkten warnen darf?

Viel. Denn über unsere Stichproben erreichen wir auf effiziente Weise, dass staatliche Vorschriften eingehalten werden. Im Schnitt stellen wir bei 30 Prozent unserer Probennahmen Mängel fest und sorgen dafür, dass sie abgestellt werden. Im Übrigen: die Marktüberwachung kann tatsächlich öffentlich vor gefährlichen Produkten warnen. Das ist aber das letzte Mittel, das wir nur anwenden dürfen, wenn ein ernstes Gesundheitsrisiko vorliegt und der Hersteller oder Importeur selbst nicht tätig wird. In vielen Fällen - da haben Sie recht - tritt die Marktüberwachung aber selbst nicht in Erscheinung. Das ist aber bei der Polizei oder der Steuerfahndung auch so. Wir wirken tatsächlich in vielen Fällen im Hintergrund. Mancher Hersteller oder Importeur stellt ein Nachfolgeprodukt vor und bewirbt es als „noch sicherer“, weil wir ihm die Mängel am bisherigen Produkt mitgeteilt haben und er gezwungen war, diese abzustellen. Empfehlen kann ich in diesem Zusammenhang das Internetportal „Gefährliche Produkte in Deutschland“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin – BauA. Dort wird die Öffentlichkeit über viele gefährliche Produkte informiert – teilweise aktiv durch Wirtschaftsakteure selbst, zum Teil gehen diese Meldungen aber auch auf die Arbeit der Marktüberwachungsbehörden zurück.



Für 2024 sind ebenfalls wieder über 80 Aktionen geplant. Unter anderem sollen Markisen, Wärmepumpen, elektrische Warmwasserbereiter, Schweißgeräte, LED-Lampen, nikotinhaltige Liquids für E-Zigaretten sowie Wasch- und Reinigungsmittel überprüft werden.
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Wo melden Verbraucherinnen und Verbraucher Hinweise auf Verstöße? Gibt es Plattformen für eine Meldung?

In Deutschland kann man als Verbraucherin oder Verbraucher Produktmängel über die Datenbank ICSMS der ausgewählten Behörde melden. Jede und jeder kann sich außerdem direkt an uns wenden. Wir haben ein zentrales Postfach: marktueberwachung@rpt.bwl.de

In den Fällen, in denen wir selbst nicht zuständig sind, geben wir die Hinweise an die zuständigen Behörden weiter. Der Eingang des Hinweises wird bestätigt. Ein Ergebnis der Überprüfung wird dem Einsender aber normaler Weise nicht mitgeteilt. Denn die Überwachung hat aus rechtlichen Gründen zwischen dem Hersteller oder Importeur und uns abzulaufen. Wenn Sie aber als Verbraucherin oder Verbraucher – das kam schon vor – von einem Online-Versandhandel gebeten werden, ihr Produkt zurückzusenden und ihr Geld zurückbekommen, kann dies eine Konsequenz aus einer Beschwerde und einer Aktivität der Marktüberwachung sein.



Der Online-Handel hat stark an Bedeutung gewonnen. Was raten Sie Verbraucherinnen und Verbrauchern, um sich bei Käufen in den sozialen Netzwerken abzusichern?

Achten Sie, wenn Sie im Internet einkaufen, darauf, dass es einen rechtlich Verantwortlichen Ansprechpartner in der EU oder in Deutschland gibt. Ohne einen solchen Ansprechpartner laufen Garantieansprüche, die rechtlichen Anforderungen hinsichtlich der Sicherheit und Umweltqualität ins Leere.



Die Zusammenarbeit mit dem Zoll ist uns besonders wichtig. Hier hat sich über die Jahre ein stabiles Fundament der Zusammenarbeit entwickelt. Dazu kommt, dass auch die Marktüber-wachungsbehörden über die Ländergrenzen vernetzt sind. Nur eine gut aufgestellte und vernetzte Marktüberwachung kann dafür sorgen, dass der Verbraucher regelkonforme Produkte im Handel erhält. Wo die Produkte zirkulieren, müssen auch die Kontrollbehörden einen engen Austausch pflegen.
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Ist der zunehmende Online-Handel mit gefährlichen Produkten überhaupt zu kontrollieren – vor allem bei Produkten, die auch europaweit oder weltweit gehandelt werden? Was ist derzeit überhaupt machbar, was langfristig geboten?

Der Onlinehandel fordert uns tatsächlich heraus. Ich habe an anderer Stelle schon ausgeführt, dass ich die Gefahr sehe, dass es zu einem Dumping bei der Sicherheit und der Umweltqualität der Produkte kommt.

Aktuell wird auf verschiedene Weise versucht, dieses Problem zu lösen. Zum einen hat der Gesetzgeber Änderungen erlassen, die es der Marktüberwachung erleichtert, die Online-Anbieter in die Verantwortung zu nehmen. Wir können z. B. Produkte nun im Onlinehandel auch verdeckt kaufen, wenn wir den Verdacht haben, dass ein Produkt nicht sicher ist. Und wir können die Warendienstleister (Fulfillment) jetzt auch als Wirtschaftsakteure adressieren, wenn wir Mängel feststellen. Zum anderen haben wir die Zusammenarbeit mit den Zolldienststellen im Land verstärkt, damit wir Produkte mit Mängeln schon beim Import stoppen können. Das kann am Flughafen in Stuttgart sein oder an der Grenze zur Schweiz. Zusätzlich aber müssen wir unter den Marktüberwachungsbehörden in Deutschland und in der EU noch mehr kooperieren. Denn eine Grenzkontrolle in Weil am Rhein kann dazu führen, dass ein Produkt zukünftig über Hamburg oder Italien in den EU-Markt gelangt. Auf nationaler Ebene und auf EU-Ebene laufen Pilotprojekte, an denen wir uns beteiligen. Unter anderem wird der Einsatz von künstlicher Intelligenz bei der Überwachung im Onlinehandel getestet, um mangelbehaftete Produkte schneller zu erkennen.



Gibt es einen Austausch zwischen den Bundesländern? Werden hier zum Beispiel auch Schwerpunktaktionen zwischen den Marktüberwachungsbehörden abgestimmt?

Ja, den gibt es. Die Bundesländer informieren sich in einem zwischen den Bundesländern und dem Bund bestehenden Arbeitsausschuss darüber, welche Jahresaktionen sie vorhaben und welche Schwerpunkte sie setzen. Weiter kooperieren die Bundesländer im Bereich der Fortbildung und auf Tagungen. Und das Wichtigste: es existiert mit ICSMS ein europaweites Informationssystem der Marktüberwachung, in das die Bundesländer – wie auch Marktüberwachungsbehörden anderer Mitgliedstaaten – die Produkte eintragen, bei denen sie Mängel festgestellt haben. Auf diese Weise wird vorgebeugt, dass sich Mitarbeiter der Marktüberwachung in verschiedenen Bundesländern zur gleichen Zeit mit dem gleichen Produkt beschäftigen.



Worin sehen Sie die die wichtigste Aufgabe der Marktüberwachung in der Zukunft?

Es ist unsere wichtigste Aufgabe, immer wieder Menschen zu finden, die sich für die Aufgabe der Marktüberwachung begeistern. Wir brauchen Detektive, die ein Gespür dafür entwickeln, wo der Markt schmutzig ist. Das heißt, wo gefährliche Produkte unerlaubt angeboten werden. Da waren wir bisher mit einer Mängelquote von zwischen 25 und 30 Prozent immer sehr erfolgreich.

Eine weitere Aufgabe besteht tatsächlich darin, die erreichten Sicherheits- und Umweltstandards der Europäischen Union zu erhalten. Es gilt, uns gegen das Dumping zu verteidigen, das sich ergeben kann, wenn weltweit im Internet allein nach dem niedrigsten Preis eingekauft wird.





Impressum



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Regierungspräsidium Tübingen Koordinierungs- und Pressestelle Konrad-Adenauer-Str. 20 72072 Tübingen www.rp-tuebingen.de Aktuelles@rpt.bwl.de

Bildquellen: Abteilung 11 – Marktüberwachung – des Regierungspräsidiums Tübingen Konzeption: Silvia Langer, K-Stelle